Meine ganz persönliche Zundergeschichte

...wie ich auf den Zunder kam und was er bei mir veränderte...

alte Buche mit Zunderschwämmen
alte Buche mit Zunderschwämmen

Ich gebe zu, es klingt etwas verrückt, aber ich ich bin einem hässlichen graubraunen Ding verfallen, das knollig bis unheimlich hufförmig auf kranken und toten Bäumen haust und wirkt wie aus einer anderen Existenzform und Zeit in unser Jahrhundert gebeamt. Seit Sommer 2020 pirsche ich durchs Unterholz wilder Birken- und Buchenwälder im bayrischen Land, hole mir sommers Zeck und Mückenstich und winters kalte Füße und Schnupfennase. Aber ich kann nicht anders. Der Wald ruft, er zieht mich wöchentlich in seinen Bann und ganz besonder ruft mich der archaisch-urwüchsige Fomes Fomentarius, uff, was für ein Name. Der Zunderschwamm fesselt mich mit magischer Gewalt.

 

Anfangs wusste ich noch wenig über ihn, das Wunder am Zunder bestand in erster Linie darin, dass ich ihn auch tatsächlich fand. Meine erste Liebe galt auch nicht ihm, sondern dem Birkenporling als Heilpilz, den man kaum verwechseln kann. Den echten Zunderschwamm kann ein Anfänger sehr wohl verwechseln, und zwar vor allem mit verschiedenen Feuerschwämmen, die auch auf den typischen Wirtsbäumen des Fomes Fomentarius, also Birke und Buche, wachsen und sinnigerweise auch "falscher Zunderschwamm" genannt werden. 

Inzwischen erkenne ich den Zunder aber schon auf etliche Meter Entfernung und empöre mich redlich darüber, was auf Instagramm oder diversen Webseiten so alles als Zunderschwamm definiert wird. 


Ich weiß inzwischen, welche Pilze eine ordentliche Zunderschicht haben werden und welche zwar für Abkochungen oder Tinkturen taugen, tramamäßig aber ein Drama sind. Mehr dazu bei der Gewinnung des Zunderleders. Zum Pilz selbst kam ich also im Zusammenhang mit meiner Suche nach heimischen Heilpilzen, da ich nicht glauben wollte, dass man für heilkräftige Pilzstückchen im Internet viel Geld hinlegen muss, wenn der gleiche Wunderschwamm quasi auch vor der eigene  Haustüre wächst.


Durch das Unterholz in kaum bewirtschafteten Birkenwäldern zu streifen, in denen von Stürmen oder Alter und Pilzbefall hingestreckte Birken kreuz und quer am Boden liegen und langsam mit Moos überwuchern, ist ein schon fast mystisches Naturerlebnis.

Unglaublich urig, dieses "Pilz-weibchen", das hier an einem liegenden Birkenstamm senkrecht herunterwächst, oder?


Wenn übrigens wie im Bild die Zuwachszone unten am Pilz nach innen schrupft, ist das ein Zeichen, dass im Stamm nicht mehr viel zu holen ist und das Substat sich langsam erschöpft. Wirds wieder besser, z.B. weil sich das Myzel neue Stammbereiche vorgearbeitet hat, wächst eine neue Zuwachszone, die aber schmaler ist als die vorherigen.

 

 

 

In solchen wie von der Zivilisation vergessenen Birkenwäldchen entstehen regelrechte Dschungelgefühle. Was der Sturm oder das Alter knickt, bleibt liegen, wird allmählich von unserem Freund, dem Zunderschwamm, und einer Reihe weiterer Saprobionten (Folgezersetzer) abgebaut und allmählich von Moos überwuchert. Solange der Mensch sich nicht einmischt, läuft alles wie geschmiert. Der Kreislauf der Natur geht seinen Gang und Pilz, Vogel und Wurm sind zufrieden, genau wie ich, wenn ich ein solches Urwäldchen finde.

 

 

 

Wenn meine Aufnahmen überwiegend aus dem Winter stammen, so hat das einen ganz einfachen Grund: Dann gibt es nämlich keine Stechmücken und normalerweise auch keine Zecken. In ehemaligen Moorgebieten, also durch Menschenhand trockengelegten Mooren, gedeiht die Moorbirke, und auch es ist trotz Entwässerung meistens eher feucht bis leicht sumpfig. Ein Eldorado für Stechmücken. Wer auf ihre blutsaugenden Attacken wie ich allergisch reagiert, wartet dann gerne, bis die Stechmückenzeit vorbei ist. Auch Zecken fühlen sich in den Laubwäldern sauwohl, nach jeder Pirsch bleibt nix anderes übrig, als sich sehr gründlich auf die kleinen Blutsauger hin zu untersuchen, um sich keine Borreliose einzufangen, die statistisch gesehen jede 3. Zecke in sich trägt und nach wenigen Stunden Saugarbeit mit einen Teil ihres Mageninhalts zurück in die Blutbahnen ihres Wirtes erbricht. Sie filtert aus dem Blut aus, was sie brauchen kann, den Rest kriegt der edle Spender postwendend zurück. Ja so läuft das tatsächlich, reichlich ekelig. Erst beißen sie uns, und dann kotzen sie uns voll. Igitt.

 

 

 

Es gibt manchmal derart magische Momente in den wilden Wäldern, die ich durchstreife, dass ich nicht anders kann, als sie mit der Handykamera festzuhalten. Je unbewirtschafteter ein Wald ist, umso mehr spürt man die Urkraft der Natur, das Entstehen und Vergehen des organischen Lebens, das aber hier weder Trauer noch Angst vor dem Tod auslöst, weil alles irgendwie miteinander verbunden ist und eine innere Notwendigkeit auch im Zerfall hat, die dem modernen Großstadtmenschen fremd geworden ist. Eine Packung Champignons bei Aldi und Co kaufen, ist etwas ganz Anderes, als sich selbst auf die Suche nach Pilzen oder sogar Heilpilzen im Unterholz alter Baumriesen zu machen. Allmählich verstehen wir Menschen ja auch, dass der zur schnellen Holzproduktion hochgezüchtete Fichtenstangenwald mit einem echten Biotop so viel zu tun hat, wie Chips aus der Tüte mit einem 5-Sterne-Menü, und dass trockengelegte Moore der Natur und dem CO2-Ausstoß nicht guttun und zumindest ein Teil reanaturiert werden sollte. Es gibt Hoffnung, dass wir Menschen mit viel Verzögerung doch noch begreifen, dass wir den Planeten nicht hemmungslos ausbeuten können, ohne unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören.

Linde, also ich, natürlich im Wald
Linde, also ich, natürlich im Wald

Vor einigen Jahren begann ich mich mit traditioneller Pflanzenheilkunde zu beschäftigen und stieß so auch auf die sogenannten Heilpilze. Meine Recherche im Internet führte mich auf unzählige kommerzielle Webseiten, in denen bestimmten Pilzen vor allem aus der asiatischen traditionellen Medizin geradezu inflationär und universell enorme Heilkräfte zugeschrieben werden. Inflationär erschienen mir auch die Preise für Reishi, Birkenporling, Chaga, Zunderpilz und Co.  Meine Suche nach seriöser wissenschaftlicher Fundierung der behaupteten Heilwirkungen blieb dagegen eher mager. 

Natürlich habe ich alle gängigen Bücher über Heilpilze gelesen und bin großer Fan von Guthmanns "Heilende Pilze", weil nur in diesem Standardwerk umfassend die Fachliteratur zu den Heilpilzen verarbeitet wird. Es hat deshalb die besondere Ehre eines Überzugs mit Zunderleder von mir erhalten.
Ich fing also wie gesagt an, durch die Birkenwälder der trockengelegten Moore im Münchner Umland zu pirschen, soweit sie nicht Naturschutzgebiete sind. Den Naturschutz sollte man unbedingt beachten, die Baumpilze spielen eine zentrale Rolle im Lebenskreislauf der unbewirtschafteten Naturwälder, sie sind die großen Recycler und Beerdigungsunternehmer für abgestorbene Bäume. 
 
Anfangs schleppte ich noch jeden Uralt-Zunder und jedes inzwischen als Wurmvilla untervermietete Pilzchen nach Hause. Irgendwann ab dem hundersten aufgeschnippelteten Zunderschwamm lernt man aber, dass man sich bei Riesenexemplaren mit 15 Wachstumsringen, 30 cm Durchmesser und einer millimeterdicken knallharten Kruste zwar Blasen und Schnittwunden holt, aber meist keinen brauchbaren Lappen an Pilztrama. 
Auch für die Verarbeitung zu Heilzwecken eignen sich wurmstichige Pilzleichen nicht. 
Leider gibt es wenig brauchbare Anleitungen, wie man heimisches Zunderleder gewinnen kann. Soweit einzelne PionierInnen Zunderleder verarbeiten, kaufen sie dafür das Material aus Rumänien, wo es im transsilvanischen Gebirgswald eine spezielle tramareiche Zunderart gibt, die im gemäßigten Deutschland nicht existiert und wo noch die uralte Tradition der Schwammklopfer weiterlebt.
 
Mein Ehrgeiz lag aber darin, aus den einheimischen Zunderschwämmen Pilzleder zu gewinnen. Eine mühsame und wenig ergiebige Angelegenheit. Aber es ist unglaublich schön und geradezu magisch, wenn man am Ende aus Hugo oder Erwin von Wald xyz ein selbstgeschnippeltes Armband trägt oder sich mit einem Tramaläppchen das Gesicht reinigt. 
 
Zuerst sah ich im Fomes Fomentarius ja noch schlichtweg einen Heilpilz und potentiellen Pilzleder-Lieferanten. Mit jeder Pirsch in "meinen" Wäldern veränderte sich aber etwas in mir. Ich merkte, wie mein inneres Betriessystem in ein anderes umschaltete. Je weniger Menschenlärm um mich war,  je mehr ich mich auf das Rauschen der Baumwipfel, die Stimmen der Vögel, das Knacken der trockenen Äste unter meinen Füßen einließ, umso mehr trat mein durchaus ausgeprägter eigener Wille in den Hintergrund. Ich suchte nicht mehr gezielt nach meiner pilzigen Beute, sondern begann, mich von den Bäumen führen zu lassen. Die knorrigen kahlen Holunderäste, die an den Waldrändern den Eingang ins wilde Birkendickicht markierten und zusammen mit den modernden Stämmen im moosigen Boden heimtückische miese kleine Fußangeln abgaben, wenn ich nicht aufpasste, fingen sozusagen an, in einen Dialog mit mir zu treten. Sie mahnten mich: Linde aus der Menschenwelt, gib acht, dränge nicht besserwisserisch durch unser Reich, den Wald. Wenn Du unser Land betrittst, werde eine von uns. Wir sind anders: Wir denken nicht, wir fragen nicht, wir suchen nicht. Wir sind einfach da und sind eins. Wir wachsen, wir verändern uns, wir werden wieder zu Erde und neuen Sträuchern, Bäumen. Wir sind. Wenn Du Dich von uns führen lässt, zeigen wir Dir, was wir Dir freiwillig geben möchten, eine Zeitlang. Zeige Dich dankbar, wenn Du von uns Geschenke erhältst. Nimm nicht mehr, als der Wald Dir zugesteht als Gast. Und wenn es langsam dunkel wird, musst Du gehen, dann bist Du hier nicht mehr willkommen und wir werden Dich stolpern und fallen lassen.
 
Natürlich können Bäume nicht reden, und ich bin auch keine an Elfen und Waldgeister glaubende Esoterikerin. Trotzdem begann ich, mit den Bäumen zu reden und hinzufühlen, was sie mir zu sagen hatten, in meinem Kopf. Ich spürte allmählich, dass alles hirngesteuerte Wollen und Eifern zu einer unglaublichen Entfremdung von unseren aus Jahrmillionen Evolution ins Genom eingebrannten Urinstinkten führen kann. Es kann krankmachen. Der Wald, die vermodernen Stämme, das Moos, das Rufen der Käutzchen und Rascheln der Blätter und Knacken der Äste und das Fehlen jeglicher menschlicher Geräusche öffnete mir für ein paar Stunden wieder die Tür zum Reich des unreflektierten Fühlens, Wahrnehmens und des Wissens: Ich bin ein Teil des absoluten Lebensprinzips Natur.
 
Ich ließ mich also von der Waldgemeinschaft führen, zu den wenigen Stämmen, an denen auch in Bayern der Chaga wuchert, zu den sterbenden Baumriesen am Boden, aus denen im Überfluss die Zunderschwämme sprossen. Sobald ich aber wieder anfing zu überlegen, wo ich denn noch besseren Pilz finden und einsacken könnte, wars vorbei mit der Führung und dem beglückenden Frieden, und die nächste Stolperfalle im Gestrüpp lauerte schon.
Und wenn die Sonne allmählich unterging, begann sich die Gastfreundschaft des Waldes langsam aber deutlich in etwas feindseelige Verschlossenheit zu verwandeln. Klar, ich sah die Wurzeln und übermoosten Stämme am Boden nicht mehr, aber ich spürte auch in meinem Inneren, dass mich der Wald nun höflich aber bestimmt hinauskomplimentierte.
 
Der Zunderschwamm hat seine ureigenste Aufgabe, zu transformieren und zu etwas Ursprünglichen zurück zu verwandeln, nun sozusagen auch bei mir aufgenommen.
 
Seit ich also durchs Gestrüpp der hiesigen kaum bewirtschafteten Moorwälder tigere, mit den Bäumen rede und nach Stunden in dieser Anderwelt beglückt meine Zunderfreunde nach Hause fahre, hat sich meine Sicht aufs Leben verändert. Ich bin dankbarer geworden und sehe, dass die Natur Antworten auf unsere großen existentiellen Fragen bereit hält, wenn man nur die Arroganz der "Krone der Schöpfung" ein wenig ablegt.
Der Zunderschwamm und viele weiteren Zersetzer sorgen dafür, dass aus Bäumen wieder Erde wird, Nahrung für neues Leben. Ich umarme deshalb dicke Birken und Buchen, danke den liegenden abgestorbenen Baumstämmen dafür, dass sie mir ein paar der Fruchtkörper ihrer Recycler abtreten, wünsche ihnen eine glückliche Transformation in fruchtbaren Waldboden und finde den Frieden, den mir die Schnelllebigkeit und Unruhe der Großstadt verwehrt. 
Mit dem Zunderschwamm verarbeite ich dann zuhause das Symbol der Unendlichkeit des Lebens, der Natur. Der Natur, die der Städter nur noch als etwas weit außerhalb der Menschenexistenz Liegendes wahrnimmt. Etwas da draußen, nicht mehr in einem selbst. 
 
Der unscheinbare archaische Zunderpilz hat mich gelehrt, dass ich auch Natur bin, dass ich, Linde, wenn ich irgendwann sterben werde, genau wie meine Baumschwestern Birke und Buche auch zurückkehren werde zum Ursprung, dass das Leben nicht enden wird, nur weil ein  individuelles Bewusstsein endet. Wir werden alle früher oder später recycelt, es geht weiter und aus den organischen Elementen entsteht neues Leben.

Wir Menschen nehmen uns einfach alle ein bisschen zu wichtig. 

das isser, der Wunderzunder, diesmal aber nicht direkt im Wald, sondern in einem meiner Moos-Zunder-Wald-Bilder, Waldkunst eben.
das isser, der Wunderzunder, diesmal aber nicht direkt im Wald, sondern in einem meiner Moos-Zunder-Wald-Bilder, Waldkunst eben.